Robert Reiter (*1932): Form, Geste, Material


Gastbeitrag von Nicole Guether

Einleitung

Als Robert Reiter (*1932 bei Bratislava) 1952 sein Studium der Kunsterziehung an der Akademie in München begann, war die “Hauptstadt der Bewegung” immer noch schwer vom Krieg gezeichnet und blieb die vormalige NS-Vorzeigeakademie Hort antimoderner Kunstauffassung. Länger als anderswo hielt sich das figurative Bild und die künstlerische Erneuerung war vorerst auf die Rehabilitierung ehemals verfemter Künstler:innen des Expressionismus beschränkt geblieben.

Wie viele seiner Altersgenossen hatte Reiter die Kunst der Klassischen Moderne verzögert, erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs entdecken können. Umso mehr begeisterte er sich an der Vorkriegsavantgarde, der er zu Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit viele Ideen verdankte. So zeigt sich anfänglich eine Tendenz der starken Konturierung, des expressionistischen, scharfkantigen Strichs und eine auf das Wesentliche reduzierte Formensprache. Doch schon bald traten Spontaneität und die freie, prozessuale Gestaltung hinzu, die die modernen Impulse seiner Zeit verraten. Seine Freundschaft zum Studienkollegen Helmut Sturm brachte Reiter in die Nähe der gesellschaftspolitisch und künstlerisch revolutionären Gruppe „Spur“ und des deutschen Informell.

Figuration und Abstraktion

Obschon sein anhaltendes Thema die Landschaft als vom Menschen geschaffener Raum ist, zielen seine Bilder selten auf die Darstellung topografisch genau bestimmbarer Orte ab. Mit groben und schnellen Pinselhieben bringt Reiter allenfalls Spuren von Figuration auf den Bildträger. Reduziert auf die Eindrücke in der Natur, löst Reiter die Formen auf, verfremdet Farben und setzt diese kontrastreich zusammen. Dabei arbeitet Reiter in unterschiedlichen Graden der Abstraktion, da ihn nicht der Gegenstand an sich, sondern die Farbwirkungen in der Landschaft interessieren. Mal schwungvoll malerisch-gestisch, dann wieder mit grafischen Zugaben bis hin zu an formlose Farbfelder erinnernde reine Malerei.

Robert Reiter, 2013 © Joachim Goslar

Geste und Farbe

Mit schneller Hand bringt Reiter seine Bilder auf den Bildträger. Die Gestik seiner rauen, heftigen Pinselhiebe lassen überlegte Spontaneität erkennen, mit der er weitgehend gegenstandfreie, offene Bildformen artikuliert. Das Werk entsteht im prozessualen Dialog des Künstlers mit seinem gestalterischen Material. Der einkalkulierte Zufall im Schaffensakt tritt an die Stelle des traditionellen Bildthemas, das er mit der Geste des Mutwilligen zu nebeligen Farbfeldern auflöst. Oft bleibt die Palette auf wenige Farben reduziert, tritt nicht selten monochrom auf, um überraschend von Schlieren kräftiger Töne gebrochen zu werden. Farbe ist Stimmungsträger der Bilder, in der Geste artikuliert sich Reiters subjektive Wahrnehmung, in der Abfolge unterschiedlicher Farbflecken komponiert Reiter das Bild wie eine musikalische Partitur.

Robert Reiter, 2009 © Joachim Goslar

Material  

Wie für viele Künstler:innen der Nachkriegsgeneration gewann der direkte Bezug zum Material für die künstlerische Arbeit an Bedeutung. Darin spiegeln sich Entbehrungen, der Mangel an Werkstoffen sowie die Suche nach neuen Formen des Ausdrucks. Bereits frühzeitig hatte Reiter grobes Sackleinen für sich als Grundstoff entdeckt, zu dem er auch persönliche Bezüge aufweist: Auf der Flucht hat die Familie ihre weinigen Habseligketen für den Transport in Jutesäcken mitgeführt und der Großvater, ein Bauer aus dem Egerland, hatte den jungen Reiter auf dem Feld in Säcken vor Kälte und Regen geschützt.
Reiters Umgang mit dem Material ist vielfältig: mal lässt er es fast unbehandelt, sodass Stempel und Schrift sichtbar bleiben, dann wieder nutzt Reiter die Fasern und geflickten Grate als gestalthafte Kürzel der sichtbaren Welt, oder er färbt es flächendeckend, fast monochrom, auch arbeitet Reiter es zu Collagen und Assemblagen aus. Dabei verfolgt Reiter nie ein festes Konzept, sondern findet zu seinen Bildern im Prozess der Entstehung. Dabei werden die Spuren im Sackleinen, das er zu Hunderten in seiner Werkstatt lagert, zu Sinnbildern von Verletzlichkeit und der Abwesenheit des Menschen.

Ein verspäteter Informeller?

Aus der Not heraus beschäftigte sich Reiter über die Anfänge seiner Karriere hinaus lange Zeit vornehmlich mit grafischen Techniken (Radierung, Holzschnitt, Linolschnitt, Lithografie), die er seinen individuellen Bedürfnissen für malerische Effekte anpasste. Die freiere Behandlung des Sujets in der Grafik und Zeichnung ebneten Reiter den Weg zu einer ungezwungeneren Herangehensweise auch in der Malerei. Die gestische Abstraktion ist daher in den grafischen Werken früher angelegt als in seiner Malerei, der er sich erst spät, nach seiner Pensionierung, ganz zuwandte. Denn Robert Reiter war vierzig Jahre als Gymnasiallehrer tätig und engagierte sich daneben ehrenamtlich in der Denkmalpflege mit der Gründung des Gerätemuseums in Ahorn. Nichtsdestotrotz gelang es Reiter ein umfängliches Werk aufzubauen, das neben hunderten Werken der Malerei, tausende grafische Blätter aufweist.

Ausstellungsansicht, Kunstverein Coburg, 2021.

Es bleibt bemerkenswert, dass sich Reiter genau dann verstärkt der gestisch-informellen Malerei zuwandte, als mit den neo-expressionistischen ›Jungen Wilden‹ in Deutschland nach Jahrzehnten die figürlich-gegenständliche Malerei ihren Siegeszug antrat. Fast zeitgleich gewann das Material bei ihm stärker an Objektcharakter.

Robert Reiter ist einer der letzten seiner Generation, die noch am Schaffen sind. Sein schöpferischer Drang ist ungestillt. Er erweist sich als ein unabhängiger Geist, der früh zu seiner eigenen Sprache fand, nie die Experimentierfreude verlor, der auf frühere Stile immer wieder zurückgreift und so ein Werk zwischen Abstraktion und Figuration geschaffen hat.


Dieser Gastbeitrag ist zuerst erschienen auf der Seite der Forschungsstelle Informelle Kunst, Universität Bonn (Link)

*Bilder der Werke mit freundlicher Genehmigung ©Joachim Goslar/ Kunstverein Coburg.



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