Kosmos Kandinsky. Geometrische Abstraktion im 20. Jahrhundert im Barberini Museum, Potsdam

Die Abstraktion ist ein weites Feld. In ihrer geometrischen Variante ist sie, anders als beispielsweise der gestische Abstrakte Expressionismus, vernunftbetont und basiert auf rationaler Konstruktion. Kandinsky war einer der ersten, der seine Bildsprache auf ein Zusammenspiel von Farben, Linien und Flächen reduzierte.

Die umfassende Schau im Barberini Museum spannt einen weiten Bogen über sechs Jahrzehnte geometrischer Abstraktion. Von den Anfängen bei Kandinsky bis hin zu den verschiedenen Spielarten in Europa und den USA. 125 Werke von über siebzig Künstler:innen, Malerei und Plastik, mit Leihgaben u.a. von der Fondation Beyeler und der Peggy Guggenheim Collection in Venedig, zeigen Verbindungslinien zwischen den Strömungen und internationalen Gruppierungen. Als deren Zentralgestalt wird Kandinsky ausgewiesen.  


Als Kandinsky aufhörte zu malen, wie man wusste, zu sehen

Als ich vor einigen Jahren ein Semester lang „Form und Stil“ der Kunstgeschichte lehrte, hatte auch ich einen Studenten, der, bei der Abstraktion angekommen, meinte, das könne er auch. Also sollte er es. In der letzten Sitzung erhielt ich eine Kopie von Kandinskys „Impression III (Konzert)“ von 1911. Keine schlechte. Und doch erklärte ich ihm, dass die eigentliche Leistung nicht das Kopieren sei, sondern in der eigenen Abstrahierung von Welt liegt.

Die Gesellschaft wusste damit noch nichts anzufangen, als Kandinsky seine expressive Malerei in wenigen Jahren zu einer völlig abstrakten entwickelte. Drei Werke zu Beginn der Ausstellung verweisen auf die enorme Abstrahierungsfähigkeit, für die Musik und Klänge von großer Bedeutung waren. Der Synästhetiker Kandinsky konnte darin Farben sehen, bevorzugt in Arnold Schönbergs neuer Zwölftonmusik.

Eingangssituation, „Kosmos Kandinsky“

Die Beschäftigung mit Theosophie und Philosophie fand ebenso Eingang in Kandinskys neuer Bildsprache, wie neueste wissenschaftliche Erkenntnisse. Mit den Mitteln geometrischer Grundformen wollte er darstellen, was jenseits der materiellen Welt liegt. Dafür entwickelte er eine zeichenhafte Bildsprache aus wiederkehrenden Elementen, von denen der Kreis für die Unendlichkeit des Kosmos steht.

Das Geistige versus das Rationale

Von Suprematismus und Konstruktivismus über De Stijl und Bauhaus, britische Nachkriegsabstraktion bis hin zu Hard Edge, Op Art und Minimalismus. Wir werden in neun Räumen und durch neun Kapitel durch die vielen Spielarten geometrischer Abstraktion geleitet. Ihnen mehr oder weniger zur Seite gestellt, sind zwölf Werke Kandinskys. Er ist unsere rote Linie durch sechzig Jahre geometrische Abstraktion.

Diese hätte Kandinsky in der uns bekannten Weise wohl nicht ohne seine avantgardistischen Kolleg:innen aus Russland und Osteuropa erreicht. Der erste Saal ist daher ihrem Einfluss auf den im November 1914 nach Russland zurückkehrenden Kandinsky gewidmet. In der Zusammenschau mit den revolutionären Künstler:innen ließe sich fragen, wer nun Teil welchen Kosmos war.

Kandinsky nach 1921

Die Ausstellung fährt fort, Kandinsky als Ventilator der neuen Bildsprache vorzustellen. 1921 war er dem Ruf Walter Gropius‘ ans Bauhaus gefolgt. 1933 ging er ins Exil nach Frankreich. Die Künstler:innen dort, die aufgrund der NS-Herrschaft ihrerseits vielfach ins Exil gedrängt wurden, waren dabei die eigentlichen Multiplikatoren. Piet Mondrian von der niederländischen Gruppe De Stijl, der zunächst nach Großbritannien ging, später in die USA. Oder der Bauhaus-Schüler Max Bill, der in Zürich die Konkrete Malerei entwickelte, für die harmonisches Maß Grundlage des Bildaufbaus wurde. Kandinsky blieb spielerischer, gerade im Kontakt mit dem französischen Surrealismus, und insgesamt auch heiterer.

Die Verbindung zu Kandinskys Kunst, der 1944 im Pariser Exil starb, brach schließlich ab. In den USA wurde die geometrische Abstraktion unabhängig. Dort nahm sie die monumentalen, flachen und minimalistischen Ausmaße von Mariam Shapiro, Ellsworth Kelly oder Donald Judd an.

Doch haben die Künstler:innen eine ungleich größere Gemeinsamkeit als Kandinsky, das wird deutlich. Sie alle haben, ob jene aus St. Ives, Cornwall, oder jene US-amerikanischen Exilant:innen, einige Zeit in Paris gelebt.

Harmonisches Maß und Gesetz

Ein häufiger Tadel an die abstrakte Kunst generell ist, dass sie ermüdet. Dem versucht die Kuratorin Sterre Barentsen, die die Ausstellungsidee von Daniel Zamani übernahm, durch Variation zu begegnen. Als enstpannten Ausgleich für die Augen folgen auf den Raum mit farbgewaltigen Werke des Hard Edge die monochromen Werke der Minimalisten. Die Zusammenstellung malerischer Werke mit Plastiken erweitert nicht nur das Thema. Sie schafft die für die Augen notwendige räumliche Tiefenwirkung, die der Malerei (meist) abgeht.

Zum Abschluss der Ausstellung folgt dann wieder Überreizung mit den optisch-illusorischen Experimenten u.a. von Bridget Riley, Victor Vasarely oder Julian Stanczak. Vorweg, wieder als eine Art Pate, wird Kandinskys Leinwand „Im schwarzen Kreis“ (1923) gestellt, die an „eine außerirdische Landschaft“ erinnere. Hierin offenbart sich gleichwohl, wie weit die Entwicklung der geometrischen Abstraktion reicht und von anderen vorgenommen wurde. Und dass rationalisierte Reduktion durchaus Ausschweifung bietet.

Fazit

Die immer hochästhetischen Präsentationen im Barberini Museum, mit den jeweils zur Ausstellung wechselnden deckenhohen Wandfarben, schaffen hypersensuellen Erfahrungen. Wie die Farbklänge der Werke vor den anthrazit und taubenblauen Gründen strahlen, oder sich vor sanfteren absetzen, ist schon einfach verdammt genial.

Die Lücke im künstlerischen Werk von etwa 1914 an bis Anfang der 1920er Jahre lässt Kandinskys anfängliches Gewicht wanken. Zumal er selbst viel von den Suprematisten und Konstruktivisten angenommen hatte. Nicht immer gelingt es Kandinsky mit dem Konzept der zwölf Pate stehenden Werke restlos überzeugend als Zentralfigur zu positionieren. „Kosmos Kandinsky“ ist somit als die enorme Vielfalt von (reduzierten) Möglichkeiten zu verstehen. Es ist auch als das zwischenmenschliche Netzwerk zu sehen, das für die Entwicklung der malerischen Neuerungen verantwortlich war.

Die Künstlerinnen und Künstler, die ins Exil gingen, waren schon davor durch die Welt gezogen, wo sie in Kontakt miteinander kamen und voneinander lernten. Sie tauschten Ideen, die sie weiterentwickelten und verbreiteten. So haben sie letztlich gemeinsam an der Internationalisierung der geometrischen Abstraktion gewirkt – wer auch immer der Erste war.

Vor Social Media war es eben dieser echte, physische Austausch von international agierenden, vagabundierenden und kosmopolitischen Künstlern und Künstlerinnen.

Deshalb: Ein Hoch aufs Vagabundieren!

Die Ausstellung ist nur noch bis zum 18. Mai im Museum Barberini, Potsdam, zu sehen.

Im Berliner Kupferstichkabinett läuft bis zum 15. Juni die graphische Ausstellung „Kosmos Blauer Reiter“, die frühe Werke Kandinskys zeigt.

 
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**Alle Bilder ©Nicole Guether, mit freundlicher Genehmigung zur Veröffentlichung des Beitrags durch Presse und Kommunikation, Barberini Museum Potsdam


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